Im Zentrum der Videoarbeiten und Performances von Anette C. Halm steht das Autoportrait. Einerseits die Tradition des Selbstportraits in der Kunstgeschichte aufgreifend, andererseits die medienspezifischen Qualitäten von Video herausarbeitend, setzt sich Anette C. Halm unaufhörlich mit der eigenen Identität auseinander. Zwischen Selbsterfahrung und -kasteiung und der Inszenierung der Oberfläche changierend, macht Anette C. Halm genau das, für das Videokünstler spätestens seit den 1970er Jahren immer wieder kritisiert wurden: Sie benutzt die Kamera als Spiegel und als erbarmungslosen Aufzeichnungsapparat. Insbesondere Rosalind Krauss hat in ihrem Aufsatz „Video. The Aesthetics of Narcissism“ diesen Ansatz untersucht und die Essenz der Videokunst (zumindest der 1970er Jahre) herausdestilliert: „Video‘s real medium is a psychological situation, the very terms of which are to withdraw attention from an external object – an Other – and invest it in the Self.“ Auch Halm hat die Selbsterforschung in ihren zahlreichen Arbeiten vorangetrieben und das Medium im Sinne von Michel Foucault als „Technologie des Selbst“ eingesetzt. Doch die scheinbare Authentizität ist gebrochen und fragmentiert, da sie ihre eigene Person häufig mit den Massenmedien in Verbindung setzt. Egal ob sie bekannte Tonzitate von Filmklassikern wie „Pretty Woman“ oder „Vom Winde verweht“ verwendet und sich deren Kontexte und Diskurse aneignet oder als eine Art von Re-Enactement bestimmte Passagen aus der Filmgeschichte nachstellt, die eigene Person – ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte, ihre Gesten und ihre Handlungen – kann nicht autonom betrachtet werden: Life follows TV! Halms Arbeiten haben etwas Therapeutisches. Wenn es so etwas wie Kunsttherapie gibt, muss es auch eine Medientherapie geben, die Halm im Selbstversuch praktiziert. Ist das verwerflich? Therapie ist wohl eher ein „Normalsatz“ in der Kunst, um mit dem Filmemacher Heinz Emigholz zu sprechen: „Seit Freud gesagt hat, der Künstler heile seine Neurose selbst, heilen die Künstler ihre Neurosen selbst.“ Genau dieses Spannungsfeld macht Halms Arbeiten spannend: Wo beginnt die persönliche Heilung und wo die künstlerische Observation und Artikulation? Von Piero di Cosimo bis Tracy Emin: seit es Kunst als eine autonome Praxis gibt, hat es eine klare Trennlinie zwischen persönlicher Therapie und künstlerischer Autonomie, zwischen Analyse und Repräsentation nicht gegeben und wird sie auch nie geben. Halm unternimmt erst gar nicht den Versuch, dieses Spannungsfeld zu kaschieren, wie manch männliche Kollegen, und dennoch nutzt sie das Massenmedium des Hollywoodkinos auch als Schutzschild, um den Blick ins Innere zu irritieren und eine umfassendere Idee von Persona zu entwickeln. Wie der Kunstwissenschaftler Beat Wyss immer wieder betont, kommt eben der Begriff „Persona“ vom griechischen Schauspiel und bezeichnet die verwendete Maske, um die Rollen zu typisieren. Was Anette C. Halm anhand ihrer Person unternimmt, ist eine Typologisierung von Gefühlszuständen wie Trauer und Wut, Liebe und Schmerz. Das Spektrum ihres Schaffens hat sich dabei kontinuierlich erweitert und reicht von Textarbeiten über performative Aktionen, wie die Performance „Undine“, die Ingeborg Bachmann gewidmet ist. Egal ob Video, Text oder Performance - Anette C. Halm beweist in ihren Arbeiten Mut zum Risiko und zum Scheitern. Ihre Radikalität besteht darin, im Sinne von Christoph Schlingensief auch einmal die Scham- und Peinlichkeitsschwelle zu überschreiten und eben genau das zu machen, was weder erwartet noch kalkuliert und strategisch ist. Diese Gnadenlosigkeit, die immer wieder aufblitzt, taucht in ihren dokumentarischen Videos auf, wo sie sich mit Sex- und Spielsüchtigen auseinandersetzt und eine eigenartige Nähe zu den Protagonisten entwickelt. Gerade die digitalen Onlinemedien wie Chats und Videoblogs, die sie dabei bisweilen benutzt, sind möglicherweise die konsequentesten und demokratischsten Fortsetzungen des Autoportraits, die Halm auch hier instinktiv und konsequent einsetzt. So hat sich Anette C. Halm in wenigen Jahren mit großer Energie und erstaunlichem Willen, aber auch mit einer speziellen Mischung aus Naivität und strategischem Handeln, ein eigenes künstlerisches Universum geschaffen und schießt dabei immer wieder auf charmante Art und Weise über das Ziel hinaus. Aber auch das ist eben eine Art von Grenzüberschreitung – und eine sympathische Form der Transgression obendrein.
(Ulrich Wegenast)